Wutausbrüche
Warum Wutausbrüche bei Kleinkindern keine Trotzanfälle sind. Wie funktioniert Emotionsregulation mit Kleinkindern? Was ist Co-Regulation? Und warum ist sie wichtig? Erfahre 5 konkrete Strategien um Wutanfälle zu begleiten.
Diese Szene kennst du vielleicht…
Du willst dein Kind abholen, und es rastet völlig aus, weil nicht – wie angekündigt – die Oma gekommen ist, sondern du. Oder du sagst einfach: „Jetzt gibt’s kein Eis mehr.“ Und bumm – Wutanfall. Dein Kind schreit, wirft sich auf den Boden, will nicht mehr angesprochen werden. Und du denkst dir: Was ist hier eigentlich los?!
Solche Momente fühlen sich oft total überfordernd an – für uns Erwachsene genauso wie für die Kinder. Aber was passiert da eigentlich? Und warum fordern uns Wutausbrüche so heraus?
Warum man nicht mehr von "Trotzanfällen" spricht
Früher hat man das „Trotzanfälle“ genannt. Klingt so, als würden Kinder das absichtlich machen. Als wollten sie uns ärgern oder herausfordern. Aber das stimmt so nicht.
Kein Trotz – ein Notfall im Gehirn
Was wir heute über Kinder und Entwicklungspsychologie wissen erzählt eine andere Geschichte: Ein Kind in diesem Alter hat noch keine ausgereifte Emotionsregulation. Das Gehirn ist noch mitten in der Entwicklung – besonders der präfrontale Kortex, der für Impulskontrolle und logisches Denken zuständig ist, ist noch lange nicht ausgereift. Wenn ein Kind überfordert ist, übernimmt das emotionale limbische System – genauer gesagt die Amygdala – und schaltet alles andere ab.
Das heißt: Das Kind will sich nicht so aufführen. Es kann sich noch nicht anders ausdrücken.
Was bei einem Wutausbruch im Kind passiert
Ein Wutausbruch ist kein Machtspiel, sondern ein inneres Chaos. Es entsteht, wenn das Kind mit etwas nicht klarkommt: Frust, Müdigkeit, Hunger, zu viele Reize oder das Gefühl, keine Kontrolle zu haben.
Und weil Sprache, Impulskontrolle und Emotionsregulation in diesem Alter noch nicht ausreichend entwickelt sind, reagiert das Kind körperlich. Es wird laut, wirft sich auf den Boden oder schlägt um sich.
Das ist neurologisch betrachtet völlig normal – aber natürlich anstrengend.
Warum Emotionsregulation so wichtig ist
Emotionsregulation ist eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben in den ersten Lebensjahren. Sie ist die Basis für:
- psychische Gesundheit
- die Fähigkeit, mit Stress umzugehen
- Beziehungsfähigkeit und Frustrationstoleranz
Kinder lernen Emotionsregulation nicht von allein – sie brauchen Erwachsene, die ihnen dabei helfen. Das nennt man Co-Regulation. Wenn wir ruhig und präsent bleiben, kann sich das Nervensystem des Kindes an unserem orientieren. Du kennst das vielleicht: dass dein Kind sich daran anpasst, wie du dich gerade fühlst – oder dass es ein Verhalten zeigt, bei dem du im Nachhinein merkst: Ah, so hab ich mich wirklich gefühlt. Dass sie also manchmal unsere Innenwelt spiegeln. Genau so funktioniert es umgekehrt auch: Du kannst für das Kind ein Spiegel sein, an dem es sich abschaut, wie Emotionsregulation funktioniert.
Hast du gewusst: Der Präfrontale Kortex reift bis ins zwanzigste Lebensjahr.
Was NICHT hilft – typische Reaktionen
Wenn du schonmal bei mir im Workshop warst, dann weißt du: Dein Gehirn tut, was es gewöhnt ist. Die meisten von uns sind damit aufgewachsen, dass ihre Gefühle nicht ernst genommen wurden. Oder dass sie dazu angehalten wurden, sie zu verstecken. Falls du Sätze kennst wie: „Ein starker Junge weint nicht!“ oder „Sei nicht so hysterisch!“ dann war das bei dir auch der Fall. Und diese Erinnerungen sind viel älter als deine Rolle als Elternteil oder Fachkraft. Also ruft dein Gehirn, besonders in stressigen Situationen – wie einem Wutanfall in der Öffentlichkeit – erstmal das älteste und gewohnte ab, was es finden kann. Deshalb ist es wichtig, neue Gewohnheiten zu schaffen, zu üben und zu reflektieren.
Bei Wutausbrüchen von Kleinkindern gibt es drei ganz typische Reaktionen von Erwachsenen:
A: Auf das Kind einreden.
Viele sagen dann: „Aber ich hab doch gesagt, dass heute nicht die Oma kommt…“ Oder: „Ist doch nicht schlimm, es gibt morgen wieder Eis.“ Aber: Das Kind hört das in dem Moment nicht. Es ist so überflutet von Emotionen, dass Worte gar nicht ankommen. Du stresst dich nur selbst – und oft wird es schlimmer.
B: Anschreien oder schimpfen.
Manchmal wird es uns zu viel – und wir schreien zurück. Das ist total menschlich. Aber es hilft leider nicht. Denn je stärker wir emotional werden, desto mehr eskaliert auch das Kind. Warum? Weil seine Regulation noch komplett von unserer abhängt. Wenn wir laut und unkontrolliert werden, fühlt sich das Kind unsicher und überfordert. Es kann sogar Angst vor uns kriegen. Denn in den Augen eines kleinen Kindes bist du ein Riese!
C: Entscheidungen übergeben.
„Na, was willst du denn jetzt?! Sag doch was!“ – Auch das ist verständlich, aber in dem Moment ist das Kind nicht entscheidungsfähig. Es braucht Struktur, Klarheit und einen sicheren Rahmen – keinen zusätzlichen Druck. Kinder sind in diesem Alter zu größeren Entscheidungen sowieso noch nicht fähig – du solltest immer eingeschränkte Auswahlmöglichkeiten anbieten! Und im Wutanfall ist das Kind von Emotionen überschwemmt, der präfrontale Kortex und das logische Denken haben gerade Pause. Dein Kind hat schlichtweg keine Kapazitäten mehr, um Entscheidungen abzuwägen. Es ist völlig damit beschäftigt, mit der überwältigenden Emotion umzugehen!
Es ist normal, dass wir in alte Gewohnheiten verfallen. Deswegen müssen wir üben, üben, üben.
Was stattdessen hilft – konkrete Strategien bei Wutausbrüchen
- Eigene Regulation zuerst.
Bevor du etwas sagst oder tust: Regulieren. Das kann heißen: bewusst ausatmen, kurz die Schultern lockern, mit den Zehen wackeln – irgendetwas, das dich runterholt. Denn erst wenn du ruhig bist, kannst du dein Kind wirklich erreichen. - „Name it to tame it“ – dem Gefühl einen Namen geben.
Das kommt von Daniel Siegel. Wenn du sagst: „Du bist richtig wütend, weil du jetzt kein Eis mehr bekommst!“ – dann fühlt sich das Kind gesehen. Und das hilft. Weil es Orientierung gibt. Und weil das Kind lernt: Gefühle kann man benennen – und dann damit umgehen. - Gesehen werden ist Regulation.
Wenn ein Kind sich nicht gesehen oder gehört fühlt, verstärken sich die Gefühle oft noch. Dieses Gefühl – ich werde nicht verstanden – kann sich tief einprägen. Wenn wir aber da sind, wahrnehmen und anerkennen, was gerade los ist, hilft das beim Verarbeiten. - Ablenken – ja, das ist okay.
Gerade bei Kleinkindern ist Ablenken eine total legitime Strategie. Ein einfaches: „Hey, schau mal – da vorne ist der Ulli aus dem Kindergarten!“ reicht manchmal schon, um aus der Überflutung rauszukommen. Und das ist kein Ablenken im Sinne von Wegschauen – sondern ein Impuls zur Regulation. - Klare Führung geben.
Wenn das Kind überfordert ist, braucht es keine zusätzlichen Entscheidungen. Es braucht Struktur. Zum Beispiel: „Ich trag dich jetzt ins Auto, und du darfst dabei wütend sein.“
Dein Kind will dich nicht ärgern. Es ist gerade verloren und braucht Hilfe.
All diese Strategien musst du nicht von heute auf morgen bei jedem Wutausbruch deines Kindes anwenden. Du musst auch nicht immer zen-mäßig ruhig bleiben und ausgeglichen sein. Kein Mensch kann das und niemand ist perfekt – nicht einmal Eltern. Du kannst aber in kleinen Schritten neue Gewohnheiten schaffen, indem du dir immer wieder bewusst machst: Was hat heute gut funktioniert? Was nicht? Und wie hätte ich gerne reagiert? So übt dein Gehirn neue Verhaltensweisen ein.
Ermutigung für Eltern mit Kinder in der Autonomiephase
Wichtig ist: Du musst nicht perfekt sein. Es ist völlig okay, wenn du dich auch mal aufregst. Entscheidend ist, dass du lernst, dich selbst zu regulieren und deinem Kind dabei eine sichere Begleitung bist.
Wenn du gerade in einer akuten Situation Unterstützung brauchst, kannst du bei mir auch kurzfristig eine Notfall-Session buchen. Dort finden wir gemeinsam praktische Wege, wie du mit deinem Kind gut durch solche Momente kommst.
Außerdem biete ich individuelle Beratungen und längere Begleitungen an, in denen du lernst, wie du die Emotionsregulation deines Kindes nachhaltig fördern kannst – damit es für euch beide leichter wird.
Melde dich gern bei mir, wenn du mehr erfahren möchtest.
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