Elisabeth Krista – Botschafterin für glückliche Kindheiten

Einfach miteinander reden.

Wie eine einfache Frage, ein bisschen Zuhören und ein kurzes Innehalten einen großen Streit verhindert hätten – oder auch nicht. Und wie es dann doch gelang. 
Warum Kinder Verantwortung für Konflikte übernehmen müssen.

Einfach miteinander reden.

Eine liebe Freundin hatte über Monate Streit mit den Nachbarn. Es ging um einen Dachausbau, der im Winter in aller Schnelle erfolgen musste. Die Nachbarn sahen nicht ein, dass sie einen Teil der Kosten übernehmen mussten. Aber das Dach hielt schließlich alle trocken und meine Freundin wurde immer frustrierter, warum die Nachbarn so stur blieben. Der Streit wurde immer schlimmer, Anwälte wurden eingeschaltet, die Sache landete vor Gericht.

Fast ein Jahr wurde geprüft, verhandelt, geschumpfen, gezetert, – meine Freundin belastete das alles sehr.

Als der große Tag gekommen war – die Gerichtsverhandlung – erwarteten alle gespannt, was der Richter dazu sagen würde.

Ehrlichkeit beeindruckt. Und macht Lust auf mehr.

Meine Freundin saß in der Verhandlung und beobachtete das Prozedere erstaunt. Sie war von der Gelassenheit und Trockenheit der Vorgänge fasziniert – es war doch alles so aufregend, frustrierend und ärgerlich gewesen. Und hier wirkte alles faktisch, sachlich, begreifbar.

Sie hörte die Aussage des Nachbarn. Er leugnete nichts, war ehrlich, gab offen eigene Fehler zu. Sie war davon berührt. Das hatte sie nicht erwartet. Nicht weil der Nachbar ein schlechter Mensch ist – sie kannten und mochten sich schon lange. Sondern weil sie in dieser Situation eine Verteidigungshaltung erwartet hatte.

Sie wurde nervös. Sie begann, auf ihrem Stuhl herumzurutschen. Sie wusste: Sie wollte etwas sagen. Also stand sie auf. „Darf ich mit dem Herrn Sowieso draussen sprechen?“ fragte sie das Gericht. Der Richter stimmte zu und gab ihnen Zeit, sich draußen zu besprechen.

Lass uns diesen Blödsinn beenden.

Der Nachbar und meine Freundin standen sich gegenüber. Sie begann: „Ich weiß, dass du kein schlechter Mensch bist. Und du weißt, dass wir keine schlechten Menschen sind.“ Er nickte. „Dann lass uns doch diesen Blödsinn beenden. Ich hab ein Angebot für dich.“ Sie unterbreitete ihm einen Lösungsvorschlag. Er zögerte keinen Moment und schlug ein.

Sie kamen ins Gericht zurück und verkündeten, dass der Streit beendet sei und man nur noch die Formalitäten mit dem Gericht zu klären hatte. Der Richter war davon begeistert und half, die entsprechenden Vereinbarungen zu formulieren.

Diese Geschichte bewegte mich sehr. Bewegt sie dich auch?

So viele Gedanken gingen mir seither durch den Kopf. Was hat meine Freundin eigentlich gesagt?

Das, was meine Freundin getan hat fand ich enorm mutig, ein fabelhaftes Zeugnis für Zivilcourage.

Sie begann davon zu erzählen, warum sie damals die Entscheidung, das Dach zu sanieren so schnell gefällt hatten. Sie hatten die Intention, eine langwierige Baustelle zu verhindern. Anderen die Entscheidung abzunehmen. Anderen die Recherche nach Anbietern zu ersparen. Sie hatten es: Ja genau, gut gemeint.

Der Nachbar antwortete offen und verletzlich: Er habe sich übergangen gefühlt. Es sei ihm alles zu schnell gegangen und er hätte mitentscheiden wollen. Und dann wäre alles von selber eskaliert.

Was für ein wunderbares Beispiel. Ich bat sie, darüber schreiben zu dürfen. Warum?

Wie oft nehmen wir etwas von anderen an? Wie oft überfahren wir Kinder mit unseren Entscheidungen? Im Glauben, ihnen etwas abzunehmen, das Leben leichter zu machen, bestimmen wir über sie.

Sie fühlen sich dadurch nicht gesehen und gehört. Sie sind ohnmächtig. In der Erwachsenenwelt landen wir bei bei Anzeigen, vor Gericht, im Rechtsstreit. Kinder können noch keine Anwälte nehmen. Aber sie können ebenso in Opposition gehen.

Kinder wehren sich. Sie entwickeln eine offene Anti-Haltung, sie suchen sich alternative Outlets, zum Beispiel ärgern sie ihre Geschwister, oder sie geben einfach auf. Sie entscheiden: Meine Mitsprache zählt nicht. Also halte ich den Mund.

Kinder dürfen und sollen Verantwortung tragen, wenn sie Konflikte haben. Das stärkt sie für die Zukunft.

Das Gleichnis zeigt auch, wie sich Kinder verhalten, wenn sie Verantwortung für die Lösungsfindung tragen dürfen. Sie werden eine Idee haben. Sie werden sie vorbringen. Und sie werden miteinander verhandeln. Hätte der Richter in dieser Situation eine Bedrohung seiner Autorität gewittert und das außergerichtliche Gespräch verhindert, wäre der Rechtsstreit wohl heute noch im Gange.

Das, was meine Freundin getan hat fand ich enorm mutig, ein fabelhaftes Zeugnis für Zivilcourage. Auch der Richter hat dazu beigetragen indem er eine Atmosphäre der Offenheit schuf, in der sich meine Freundin ermutigt fühlte, ihren Gedanken freien Lauf zu lassen. Sie fühlte sich ermutigt, konstruktiv zu der Problemlösung beizutragen. Der Nachbar bewies Aufrichtigkeit und Reife, indem er ehrlich war und für ein Gespräch offen.

Ich lerne daraus: Wo in meinem Leben füttere ich unnötige Konflikte, weil ich einfach Annahmen treffe? Wo und wann sollte ich Fragen stellen? Wann sollte ich pausieren, innehalten und anderen Zeit geben, mit mir mitzuhalten? Wann gehe ich davon aus: mit denen kann man eh nicht reden. Bevor ich es überhaupt versuche!

Danke, liebe Freundin, für diese Erzählung. Und alles Gute für euer friedliches Zusammenleben.

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