Ein Kindergarten der logischen Konsequenzen

Ein Grund, warum ich Kindergärtnerin geworden bin, ist ein Bild in einem meiner Lehrbücher. In dem alten Didaktik-Schinken gab es Beispiele für Kindergärten. Einer davon hatte ein ovales Zentrum, auf das alle Gruppenräume führten. Das Zentrum war tiefer gelegt, sodass alle Kinder des Kindergartens sich hier für den „Morgenkreis“ und andere Veranstaltungen treffen konnten. Was für eine Vision! Diese Umsetzung des Gemeinschaftsgefühls zeigt sich in wenigen Kindergärten und wird selten so konsequent gelebt. Wenn aber das Gemeinschaftsgefühl ein Grundbedürfnis des Kindes ist, müssten wir das nicht besser ermöglichen?

Schaust du dir heute eine Kita an, findest du „Abteilungen“, Wände, Türen die geschlossen sind, Zäune, die sich durch Gärten ziehen und die Bewegungsfreiheit des Kindes komplett einschränken. Wir sind entrüstet, wenn Hundebesitzer ihrem Hund keinen Auslauf gewähren und wissen genauestens Bescheid, wie viel Auslauf eine bestimmte Katzenrasse braucht. Weißt du, wie viele Kilometer Auslauf ein 4-jähriges Kind braucht?

Ein Kind im Kindergarten Fuji in Tokio läuft 4000 Meter am Tag durchschnittlich. 4 Kilometer! Und jetzt zu Fuji.

Der japanische Architekt Takaharu Tezuka und sein Team haben vor fast 20 Jahren einen Kindergarten geschaffen, der an dieser Offenheit nicht nur orientiert ist. Er lebt die Offenheit, die Kinder brauchen.

Was lernen die Kinder also? Lernen sie für die Schule?

Schauen wir uns das mal an.

Sie bewegen sich. Je nach der pädagogischen Arbeit wahrscheinlich fast den ganzen Tag. Sie entwickeln ihre Motorik, und ihr Gehirn. Kinder die sich ausreichend bewegen, lernen besser und können auch besser „still sitzen“. Weil sie sich bewegt haben. Motorische Leistungen hängen mit der Verarbeitungsgeschwindigkeit und der visuellen Leistung zusammen. Da wir wissen, dass Kinder meistens üben, was sie brauchen, ist die freie, motivierte Bewegung sinnvoller als Bewegungsförderung.

Logische Konsequenzen?

Kinder, die im Verbund mit anderen Kindern spielen erfahren die Konsequenzen ihres Tuns viel direkter als mit Erwachsenen. Das bedeutet nicht, dass ich sie dabei alleine lassen muss. Wenn sie Hilfe bei Konfliktlösungen brauchen, sind Fachkräfte zur Stelle. Aber in erster Linie passieren die meisten Interaktionen unbeobachtet. So erhalten die Kinder Gelegenheit, miteinander zu verhandeln, sich zu streiten und zu vertragen, und dabei ihre Kommunikationsfähigkeit zu verfeinern.

Sie erleben natürliche Konsequenzen ganz physisch: Wenn ich mich mit Wasser übergieße, bin ich nass und ich muss mich umziehen. Wenn ich auf eine Plattform steige, muss ich wieder herunterkommen. Wenn ich Hilfe brauche, muss ich jemanden rufen. Wenn ich nicht frühstücke, werde ich hungrig. Wer sagt, Kinder brauchen Strenge, Regeln und Ordnung hat nur teilweise recht. Sie brauchen Ordnung, die für sie auch Sinn macht oder ihre Sicherheit gewährleistet. Sie brauchen liebevolle Strenge, die ihnen Sicherheit gibt. Und sie brauchen Regeln, die sie hinterfragen dürfen. Von Erwachsenen gemachte logische Konsequenzen, die versteckte Strafen sind, haben keine Lerneffekte die lange anhalten. In einem Kindergarten der logischen Konsequenzen erleben Kinder ständig welche Folgen ihre Handlungen haben. Sie lernen, sich einzuschätzen.

Dreikurs schrieb über logische Konsequenzen sinngemäß: Kinder können unterscheiden, ob es sich um eine Konsequenz oder eine Strafe handelt. Sie reagieren auf Konsequenzen. Sie wehren sich, wenn sie bestraft werden. (mehr dazu: Kinder fordern uns heraus, Kapitel 6, S.90 pp.) Das Vertrauen, dass wir Kindern entgegenbringen hilft ihnen, das Beste aus sich herauszuholen.

Gemeinschaftsgefühl.

Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die ich mir selber aussuche ist immer stärker. Wenn ich außerhalb meiner Lerngruppe die Gelegenheit habe, mit anderen Kindern zu interagieren, suche ich mir die Beziehungen aus, in denen es mir gut geht. Und wo ich etwas lernen kann.

3 Kinder lächeln

In dieser selbstgewählten Gruppe bringe ich mich ein. Ich mache Vorschläge, höre anderen zu, baue etwas gemeinsam, versuche mit den anderen zusammen ein Ziel zu erreichen. Das macht Menschen glücklich. Gemeinschaftsgefühl schon früh zu entwickeln hilft Kindern, sich später in Gruppen, Teams, Firmen, zurechtzufinden und einzubringen. Lernen sie das alles, wenn sie an ihrem Tisch sitzen und Arbeitsblätter ausfüllen?

Überlege selbst, in welchen Gruppen du dich am wohlsten fühlst: In einem Team, das deine Chefin ausgesucht hat oder in der Interessensgruppe für Schmetterlingsliebhaber, die du freiwillig besuchst?

Wer jetzt noch sagt: Kinder müssen das aber | halt | eben lernen. Zum Verständnis von Kindern gehört dazu: Wenn Kinder bestraft werden (du musst das halt), fühlen sie sich schlecht. Sie reagieren darauf mit Entscheidungen über die Welt, die bedeuten „Ich bin minderwertig“, „Ich bin nicht genug“, „Ich gehöre nicht dazu“ oder ähnliches. Menschen, die solche Entscheidungen getroffen haben, verhalten sich auffällig. Auffällig heißt: sie sind unkooperativ, antisozial, stören Beziehungen statt sie zu fördern. Sie versuchen, mit fehlgeleiteten Strategien ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn wir uns gut fühlen, kommt das Beste in uns zum Vorschein. Und das Beste in Kindern kenne wir alle: Kooperation, Zuneigung, Offenheit, Lernfreude und viel, viel Spaß.

Wenn dir der Artikel gefällt, teile ihn gerne weiter. Beim Verfassen dieses Artikels habe ich zwei vollmundige Gyokuros genossen. Willst du mir einen davon spendieren? Zum TEDx-Talk von Takaharu Tezuka auf Youtube geht es hier.

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